„Erste Welle“ der Rückkehr von Kameruns Kulturerbe im September 2025
English version: https://dekolonial-erinnern.de/historic-breakthrough-for-german-restitution-policy-on-colonial-contexts/
Mit seinem Besuch in Deutschland (23.06.-01.07.2025) auf Einladung des Auswärtigen Amtes hat das staatliche Restitutionskomitee Kameruns einen Durchbruch für die Rückkehr von kolonial angeeigneten Kulturgütern (Cultural Belongings) erzielt. Zu der Delegation gehörten auch Vertreter/innen des Rates traditioneller Autoritäten. Unter Mitwirkung des Auswärtigen Amtes wurden bei Gesprächen mit Museen und beteiligten Landesregierungen in München, Stuttgart, Bremen und Berlin konkrete Vereinbarungen getroffen.
Kamerunischen Presseberichten zufolge sollen bei der „ersten Restitutionswelle“ im September 2025 alle vier großen Kulturregionen Kameruns bedacht werden. Zur Vorbereitung werden Vertreter/innen des Auswärtigen Amtes im August in das westafrikanische Land reisen.
Restitutionspaket für September
Die für die erste Welle ausgewählten Kulturgüter sollen in einer gemeinsamen Aktion im September 2025 nach Kamerun gebracht werden. Das Restitutionspaket könnte neben anderen folgende Belongings umfassen:
– Küstenregion: (Tangué aus dem Museum Fünf Kontinente München)
– Südliches Waldland: (Dzom So’o ebenfalls aus dem Museum Fünf Kontinente München)
– Westliches Grasland: (Ngonnso‘ aus dem Ethnologischen Museum Berlin, 28 königliche Belongings der Nso‘ aus dem Linden-Museum Stuttgart, eventuell zwei königliche Belongings der Nso‘ von der Universität Mainz)
– Nördliche Sudanregion: (königliche Belongings von Tibati aus dem Überseemuseum Bremen)
Rolle des Auswärtigen Amtes
Auf deutscher Seite übernahm das Auswärtige Amt die Führungsrolle bei der zwischenstaatlichen Aushandlung. Die kamerunische Regierung hatte in der Vergangenheit unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie keine direkten Restitutionsprozesse zwischen deutschen Institutionen und Gemeinschaften aus ihrem Land tolerieren wird. Wie aus dem Auswärtigen Amt zu hören war, hat Anna Bartels, die Beauftragte für Auswärtige Kulturpolitik, die kamerunische Delegation bei den Gesprächen mit den wichtigsten deutschen Ansprechpartnern für Restitutionsfragen begleitet, darunter z. B. Verantwortliche der Bund-Länder-AG zu Kolonialthemen und der deutschen Museen. Wann und auf welchem Wege jetzt einzelne Belongings zurückgegeben werden, entscheidet das Museum, in dem sich das „Objekt“ befindet, gemeinsam mit dem Herkunftsstaat.
Eigentumsrechtliche Fragen
Restitutionsentscheidungen der deutschen Museen setzen entsprechende Beschlüsse ihrer jeweiligen Träger voraus. Bei Ngonnso’, die für das Volk der Nso’ als Muttergottheit eine große spirituelle Bedeutung hat, machte der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bereits im Juni 2022 den Weg für die Rückkehr frei. Für die 28 königlichen Belongings der Nso’, die sich im Linden-Museum Stuttgart befinden, haben dessen Eigentümerinnen, Land Baden-Württemberg und Stadt Stuttgart, im November 2023 Restitutionsbeschlüsse gefasst. Bei zwei weiteren Nso’ Kulturgütern im Besitz der Universität Mainz liegt ebenfalls eine Rückgabeentscheidung vor. Derzeit ist offen, ob sich die Universität an der Aktion im September beteiligen wird.
Bayern und Bremen
Anders gestaltet sich die eigentumsrechtliche Situation für die Museen in München und Bremen, weil noch keine Beschlüsse gefasst worden sind. In beiden Fällen ist das jeweilige Bundesland Eigentümer. In Bayern könnte die Landesregierung unmittelbar restitutieren, da der Landtag im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung die „unentgeltliche Übertragung von Kulturgütern, die aus kolonialem Kontext stammen“ autorisiert hat. In der Haushaltsordnung des Landes Bremen ist die Ausnahme vom Gebot der Veräußerung von Gegenständen zum vollen Wert möglich, wenn ein „dringendes Interesse Bremens“ vorliegt. Es liegt somit im Ermessen der Landesregierungen von Bayern und Bremen, ob sie ihren Museen den Transfer der kamerunischen Belongings im September 2025 ermöglichen.
Prozess innerhalb Kameruns
Traditionelle Autoritäten und zivilgesellschaftliche Stimmen in Kamerun wünschen sich eine stärkere Beteiligung am Restitutionsprozess sowohl mit Blick auf Deutschland als auch auf die eigene Regierung. Die Teilnahme des nationalen Rates der traditionellen Herrscher/innen an der Delegationsreise nach Deutschland macht deutlich, dass die kamerunische Regierung dazu bereit ist. Eine zentrale Frage für die Dynamik in Kamerun ist, ob die zurückkehrenden Belongings an die Herkunftsgemeinschaften weitergereicht werden. Laut einem kamerunischen Pressebericht hat der Leiter des Nationalmuseums, Hugues Heumen, den geplanten Prozess in Kamerun im Anschluss an die Rückkehr so darstellt:
„Wir planen eine Rückgabe in drei Stufen. Auf nationaler Ebene werden die Objekte zunächst im Nationalmuseum ausgestellt, um von der gesamten Nation gewürdigt und anerkannt zu werden. Nach einem kamerunisch-kamerunischen Dialog werden die von den Gemeinschaften eindeutig identifizierten Objekte an diese zurückgegeben.“
Was tun auf deutscher Seite?
Für die deutsche Seite ist es von großer Bedeutung, dass die „erste Restitutionswelle“ nach Kamerun im September 2025 erfolgreich verläuft. Dafür sind insbesondere entsprechende Beschlüsse der Landesregierungen von Bayern und Bremen erforderlich. Es ist zu hoffen, dass die Nso’ Belongings der Universität Mainz ebenfalls einbezogen werden. Die deutsche Zivilgesellschaft könnte den historischen Durchbruch bei der deutschen Restitutionspolitik durch Abschiedsveranstaltungen für das koloniale Raubgut begleiten. Offen bleibt, wie Deutschland den weitergehenden Forderungen der kamerunischen Regierung zur Rückkehr des Kulturguts begegnen will. Der „Atlas der Abwesenheit“ hat mehr als 40.000 Belongings aus Kamerun in öffentlichen Einrichtungen Deutschlands identifiziert. In den aktuellen Gesprächen mit Kamerun wurde der Umgang mit menschlichen Gebeinen (Ancestral Remains) ausgeklammert. Diese Aufgabe muss von deutscher Seite dringlich in Angriff genommen werden.
Arbeitsstab „Restitution“ im AA
Auch andere Regierungen früher von Deutschland kolonisierter Gebiete, etwa Tansania, Togo und Ghana, könnten schon bald Restitutionsforderungen geltend machen. Institutionell und im Hinblick auf staatliche Förderinstrumente ist Deutschland darauf nicht vorbereitet, wie eine kürzlich erstellte zivilgesellschaftliche Petition festgestellt hat. Es liegt auf der Hand, dass das Auswärtige Amt einen angemessen ausgestatteten Arbeitsstab für Restitutionen aus kolonialen Kontexten einrichten muss, um die komplexen Aushandlungsprozesse für alle Beteiligten zufriedenstellend steuern zu können. Bei der Aufarbeitung der kolonialen Erbes geht es um mehr als Rückführung des Raubguts. Notwendig ist die glaubwürdige Anerkennung historischen Unrechts und die Gestaltung von (symbolischen) Reparationen. Wenn dies gelingen sollte, wäre der diplomatische Gewinn von hoher Bedeutung, nicht nur in den Beziehungen zu den früheren Kolonialgebieten, sondern insgesamt gegenüber den Ländern des Globalen Südens.