Dekolonial Erinnern … für postkoloniale Ethik
Decolonial Memories … for postcolonial ethics

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German Colonial Restitution Monitor

(De)Koloniale Baustellen für neue Regierung

Thomas Fues, 18.12.2024

Bilanz der Ampel-Regierung

Bei Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte hat die Ampel-Regierung nur begrenzte Erfolge erzielt. Die dafür in erster Linie verantwortlichen, Grün-geführten Häuser, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth, und das Auswärtige Amt (AA) unter Leitung von Ministerin Annalena Baerbock, haben die durchaus ambitionierten Ziele des Koalitionsvertrags nur ansatzweise erfüllen können.

Beispielsweise hat BKM das dort aufgeführte Konzept für einen „Lern- und Erinnerungsort Kolonialismus“ nicht geliefert. Den vom Bundestags-Haushaltsausschuss beschlossenen Restitutionsfonds für kolonial angeeignete Kulturgüter haben BKM und AA nicht umgesetzt. Ein Lichtblick hingegen ist die vom AA beauftragte Anlaufstelle für Ancestral Remains (menschliche Gebeine) bei der Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.

Programme zur Bundestagswahl

Die bislang bekannten Wahlprogramme der Parteien enthalten wenig Konkretes zum Thema Kolonialismus. Am 17. Dezember 2024 haben Union, SPD und Grüne ihre Positionspapiere vorgestellt. Am Tag darauf folgte die FDP. Die Vorstände von CDU/CSU sowie FDP konnten das jeweilige Dokument bereits final verabschieden, während die beiden anderen Parteien noch auf Beschlüsse ihrer Parteitage im Januar warten müssen.

Gemeinsames Papier von CDU und CSU

Unter der Überschrift „Erinnerungskultur verstetigen und erweitern“ enthält das Programm der Union folgende Aussage:

„Die Erinnerung an die beiden totalitären Regime in Deutschland ist für uns ein Auftrag für Gegenwart und Zukunft. Zugleich erweitern wir den Erinnerungsansatz um die Geschichte des Kolonialismus.“

Angesichts der kontroversen Diskussion über die Neuausrichtung der deutschen Erinnerungspolitik bedeutet diese Formulierung eine eindeutige Positionierung zugunsten der kolonialen Aufarbeitung; auch wenn die Umsetzung im Unklaren bleibt. Diese Festlegung ist von besonderer Bedeutung, da die Union nach heutigem Umfragestand gute Chancen hat, die neue Bundesregierung anzuführen.

Position der Grünen

Konkreter wird das Wahlprogramm der Grünen mit Verweis auf die zurückliegende Regierungsarbeit:

„In der Bundesregierung haben wir die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit im Dialog mit den betroffenen Ländern vorangetrieben und wollen dies durch ein Lern- und Erinnerungszentrum und mithilfe lokaler Initiativen in die Gesellschaft tragen.“

Während die Partei hier die innenpolitische Dimension der Erinnerungsarbeit anspricht, stellt sie auch in der Außenpolitik koloniale Bezüge her:

„Wir stehen zu unserer historisch gewachsenen Verantwortung für die ärmsten Länder und der Verwirklichung sowie Weiterentwicklung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Unser Ansatz dafür ist feministisch und dekolonial… Aus unserer historischen Verantwortung für die Verbrechen der Nazi-Herrschaft sowie der Kolonialvergangenheit ergibt sich für uns eine besondere Verpflichtung zum Schutz des Völkerrechts.“

SPD und FDP

Bei Erstellung dieses Beitrags am 18.12.2024 konnte der Autor keine PDF-Fassung des Wahlprogramms der SPD im Internet auffinden. Das Wahlprogramm der FDP spart sich jeden Verweis auf das koloniale Thema.

Großbaustelle für neue Regierung

Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in der Bundespolitik steht noch ganz am Anfang. Ein wichtiger erster Schritt ist die Klärung der Zuständigkeiten zwischen Auswärtigem Amt (AA) und BKM (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien). Eine dazu kürzlich erstellte Vorlage der beiden Häuser an den Bundestag konnte wegen des Ampel-Aus
nicht mehr formell beschlossen werden. Die Verständigung der beiden Behörden sieht vor, dass sich das BKM ausschließlich auf innenpolitische Maßnahmen beschränkt, während das AA umfassende Zuständigkeit für die Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien erhält.

Restitutions-Governance erwünscht?

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die neue Bundesregierung bereit ist zur Schaffung stimmiger institutioneller Rahmenbedingungen für koloniale Aufarbeitung, die als Restitutions-Governance qualifiziert werden könnten. Andere europäische Länder sind in dieser Hinsicht schon weiter: Beispielsweise die Niederlande und die Schweiz, die beratende Restitutions-Komitees und zentrale ministerielle Anlaufpunkte geschaffen haben.

Systemische Innovation

Die Bundesregierung könnte darüber hinaus eine systemische Innovation prüfen, die alle bisher auf Bundesebene tätigen Einrichtungen für koloniale Aufarbeitung zusammenführt und deren langfristige Finanzierung sichert: Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, koloniale Provenienzforschung unter dem Dach des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, Agentur für internationale Museumszusammenarbeit, Museums Lab, Deutsche Digitale Bibliothek und andere.

Zivilgesellschaftliche Mitwirkung

Bei der kolonialen Aufarbeitung muss die neue Bundesregierung auch entscheiden, in welcher Weise sie Stimmen aus Zivilgesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Berufsverbänden aus Deutschland und den Herkunftsländern einbeziehen will. Ein breiter Kreis von ausgewiesenen Fachleuten hat beispielsweise seine Unterstützung bei der Rückführung von Ancestral Remains angeboten.

Stagnation folgt auf Benin-Bronzen

Bei Rückführung des kolonialen Raubguts ist die Bilanz der Ampel-Regierung widersprüchlich. Die spektakuläre Aktion von Bundes- und Länderregierungen sowie deutschen Museen zur Rückgabe der Benin-Bronzen im Jahr 2022 steht im krassen Gegensatz zur Stagnation in allen anderen Fällen kolonialen Raubguts, wie der German Colonial Restitution Monitor dieses Blogs aufzeigt. Zur Wahrheit gehört auch, dass einige Regierungen der Herkunftsländer, etwa Tansania und Kamerun, noch nicht an die Bundesregierung mit Rückgabebegehren herangetreten sind. Diese Staaten haben zwar nationale Restitutionskommissionen gebildet, arbeiten aber noch an ihren diplomatischen Strategien gegenüber der früheren Kolonialmacht.

Wo bleibt der Restitutionsfonds?

Als Teil des Bundeshaushalts für 2024 hatte der Haushaltsausschuss des Parlaments einen Restitutionsfonds für Kulturgüter aus kolonialen Kontexten beschlossen. Im BKM-Etat sind dafür 600.000 Euro Baransatz für 2024 sowie 600.000 Euro pro Jahr im Zeitraum 2025-27 als sogenannte Verpflichtungsermächtigungen eingestellt. Insgesamt handelt es sich hier also um 2,4 Millionen Euro über vier Jahre, mit denen die Herkunftsgemeinschaften bei Recherchen und Rückführung ihrer Kulturgüter unterstützt werden sollen. Offen bleibt, ob BKM inzwischen eine Förderlinie zur Bewirtschaftung der öffentlichen Mittel erstellt hat und wie die Gelder bislang eingesetzt wurden.

Zweite Station der Tansania-Ausstellung unsicher

Ein akuter Finanzbedarf besteht bei der zweiten Station der Ausstellung zu Tansania, die bis Ende 2025 im Humboldt Forum präsentiert wird. Danach soll sie an das mitverantwortliche tansanische Nationalmuseum übergeben werden. Die deutsche Finanzierung dafür ist völlig ungeklärt, könnte aber aus dem BKM-Haushalt erfolgen, da es dabei auch um die Restitution von Kulturgütern im Ethnologischen Museum Berlin geht.

Anlaufstelle Ancestral Remains

Ein wichtiger Schritt nach vorne ist der Ampel-Regierung beim Umgang mit Ancestral Remains aus kolonialen Kontexten gelungen. Das Auswärtige Amt hat die Verantwortung dafür an die gemeinsam mit den Bundesländern und kommunalen Spitzenverbänden getragene „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ übertragen. Derzeit erarbeitet die Kontaktstelle das Konzept für eine zentrale Anlaufstelle, die Ursprungsgemeinschaften bei der Suche nach ihren Ahnen unterstützen soll.

Gesetzlicher Rahmen

Der kürzliche Reisebericht von Bernhard Heeb (Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz) über Begegnungen mit Herkunftsgemeinschaften in Togo verdeutlicht beispielhaft, welche spirituelle Bedeutung die von Deutschen geraubten Ahnen für sie haben. Die neue Bundesregierung sollte einen gesetzlichen Rahmen für menschliche Gebeine schaffen, wie dies etwa in Frankreich bereits geschehen ist, um die Repatriierung zu beschleunigen und jeden Handel ausschließen.

Lern- und Erinnerungsort Kolonialismus

Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und seinen Auswirkungen in der Gegenwart braucht eine nationale Institution, die enge Netzwerkbeziehungen zu lokalen Initiativen in Deutschland sowie zu entsprechenden Orten in ehemaligen Kolonien aufbaut. Da die Grünen dieses Vorhaben explizit in ihr Wahlprogramm aufgenommen haben, ist zu hoffen, dass sie dessen Umsetzung bei einer möglichen Regierungsbeteiligung vorantreiben werden. Als Standort der neuen Institution bietet sich das frühere Gelände des Völkerkundemuseums in der Berliner Stresemanstraße an, das heute als Parkplatz genutzt wird. Der koloniale Erinnerungsort könnte sich das an dieser Stelle neu zu errichtende Gebäude mit dem geplanten Filmhaus Berlin teilen.

BMZ als neuer Akteur?

Eine neue Dynamik für die deutsche Aufarbeitungspolitik könnte sich daraus ergeben, dass das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) das Thema als Kernaufgabe entdeckt hat. Falls es gelingt, die nationale und dezentrale Erinnerungsarbeit in ehemaligen Kolonien in die entwicklungspolitischen Programme des BMZ zu integrieren, könnten beachtliche Finanzmittel mobilisiert werden.

Wie weiter?

Unabhängig davon, welche Parteien nach der Wahl am 23. Februar 2025 die Regierung bilden, erfordert der Ausbau der kolonialen Aufarbeitung in der Bundespolitik erhebliche Anstrengungen. Entscheidende Faktoren für Fortschritte in diese Richtung sind Engagement und Durchsetzungsfähigkeit der deutsche Zivilgesellschaft in Zusammenarbeit mit Akteurinnen in den Herkunftsländern. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich Regierungen aus den ehemaligen Kolonien in Kürze an die Bundesregierung wenden und wirksame Schritte für Restitution und Entschädigung des kolonialen Unrechts einfordern.

Dritte Säule: Ein strategisches Projekt

Ein strategisches zivilgesellschaftliches Projekt für die nächste Wahlperiode ist die Erweiterung der deutschen Erinnerungspolitik um eine dritte Säule der staatlichen Massenverbrechen, nämlich Kolonialismus, neben den bisherigen Säulen des Gedenkens an die nationalsozialistische Terrorherrschaft und die ostdeutsche SED-Diktatur. Für diesen Schritt gibt es breite Unterstützung aus dem Kreis der Gedenkstätten und jetzt eben die programmatische Festlegung der Union im Bundestagswahlkampf (siehe oben).