Dekolonial Erinnern … für postkoloniale Beziehungsethik
Decolonial memories … for postcolonial relational ethics

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German Colonial Restitution Monitor

2024: Kritisches Jahr für deutsche Restitution

Schafft die Ampel den Durchbruch beim kolonialen Raubgut?

Thomas Fues (04.03.2024)

Viel Zeit bleibt der Bundesregierung nicht mehr für vorzeigbare Fortschritte zur Rückgabe des kolonialen Kulturerbes. Das bisherige System von Verantwortlichkeiten und Verfahren ist dem wachsenden Druck aus Herkunftsgesellschaften nicht gewachsen. Nach ihrem spektakulären gemeinsamen Auftritt in Nigeria zur Übergabe einiger Benin-Bronzen im Dezember 2022 haben es Außenministerin Annalena Baerbock und die Beauftragte für Kultur und Medien (BKM), Staatsministerin Claudia Roth, nicht vermocht, Grundlagen für die staatliche Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus‘ zu schaffen.

Das eklatante Versäumnis der beiden Grün-geführten Häuser hat den Haushaltsausschuss des Bundestages auf den Plan gerufen. Bei Erstellung des Budgets für 2024 hat dieser das Auswärtige Amt (AA) und BKM dazu verdonnert, ein gemeinsames Konzept zu Zuständigkeiten bei Kulturgütern und Ancestral Remains vorzulegen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der Ampel gelingt, eine wirksame Restitutions-Governance für koloniale Kontexte aufzusetzen. Dies ist umso dringlicher, da Folgestaaten der ehemaligen deutschen Kolonien, beispielsweise Tansania und Kamerun, immer stärker die Rückkehr des Raubguts einfordern.

Abwehr und Scham

Das deutsche System an Zuständigkeiten, Leitlinien und Finanzen für den Umgang mit „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ ist hochgradig defizitär. Eine sogenannte Restitutions-Governance für Kulturerbe der früheren Kolonien existiert nur in Ansätzen. Dafür gibt es mehrere Erklärungen:

Schuldabwehr, Scham und narzisstische Kränkung haben die bewusste Erinnerung an Kolonialverbrechen auf Täterseite ausgelöscht.

– Entsprechend haben sich Gesellschaft, Politik, Medien, Kultur und Wissenschaft kaum für die deutsche Kolonialgeschichte interessiert.

– Das Mehrebenensystem im deutschen Föderalismus erschwert ein koordiniertes Vorgehen kulturpolitischer Institutionen.

– Zivilgesellschaftliche Erinnerungsarbeit in Deutschland findet vorrangig auf lokaler Ebene statt und konnte noch keine gesamtgesellschaftliche Wirkung erzielen.

Haushaltsbeschlüsse im Bundestag

In diesem Jahr wird sich zeigen, ob die notwendigen Weichenstellungen in der deutschen Restitutionspolitik während der laufenden Legislaturperiode erfolgen. Der Ampel-Regierung bleibt nur noch ein Zeitfenster von rund 12 Monaten, bevor der Wahlkampf auf Bundesebene entbrennt. Zentrale Verantwortung in diesem Bereich tragen zwei grün-geführte Ressorts, nämlich die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und das Auswärtige Amt (AA). Auch wegen unklarer Verteilung der jeweiligen Zuständigkeiten haben diese Häuser bislang wenig vorzuweisen, was die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte betrifft.

Mit einem ungewöhnlichen Schritt hat sich kürzlich der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages eingeschaltet. In der (ersten) Bereinigungssitzung für das Budget 2024 am 16.11.2023 wurde den beiden Ressorts die Vorlage eines gemeinsamen Konzepts bis 30.04.2024 auferlegt, in dem sie die Aufgabenverteilung bei kolonialen Kontexten untereinander verbindlich klären sollen.

Sperrvermerk im Bundeshaushalt

Bei Verabschiedung des überarbeiteten Haushalts am 02.02.2024 hat der Bundestag diese Vorgabe mit einer für die Regierung ärgerlichen Auflage, nämlich einem Sperrvermerk, übernommen. Bei Haushaltstitel 687 11 („Förderung der internationalen Museumskooperation“; Kapitel 0504 im Einzelplan des Auswärtigen Amts) heißt es im (verbindlichen) Haushaltsvermerk:

„Die Ausgaben sind in Höhe von 250 T€ gesperrt. Voraussetzung für die Aufhebung der Sperre ist die Vorlage eines gemeinsamen Konzeptes des Auswärtigen Amtes und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zu Zuständigkeiten bei Rückgaben von Kulturgütern und Rückgaben von Human Remains.“

Neuer Restitutionsfonds

In gleicher Weise hatten weitere Beschlüsse des Haushaltsausschusses mit kolonialem Bezug vom November 2023 Bestand. Zum einen geht es um die Schaffung eines Restitutionsfonds‘ im BKM-Haushalt, der Herkunftsgemeinschaften bei Identifikation und Rückführung von Kulturgütern unterstützen soll. Die finanzielle Ausstattung beträgt 600.000 Euro für dieses Jahr und jeweils 600.000 Euro Verpflichtungsermächtigungen (VE) für die folgenden drei Jahre.

Angestrebt wird von Seiten des Bundestags-Haushaltsausschusses, dass BKM den Fonds an das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste (DZK) überträgt, das bereits seit einigen Jahren koloniale Provenienzforschung fördert. Dieser Weg überzeugt, da der DZK-Fachbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ von der wissenschaftlich ausgewiesenen, engagierten Larissa Förster geleitet wird. Wie weiter unten ausgeführt, könnte jedoch eine grundlegende Neuordnung der Zuständigkeiten andere Lösungen erfordern.

Anlaufstelle für Ancestral Remains

Zum anderen soll nach Willen des Bundestages eine sogenannte Anlaufstelle unter dem Dach der noch zu gründenden Agentur für Internationale Museumszusammenarbeit geschaffen werden, an die sich Nachkommen kolonialer Gewaltopfer bei der Suche nach ihren Ahnen (Ancestral Remains) in Deutschland wenden können. In den entsprechenden Erläuterungen des Haushalts für das Auswärtige Amt wird dazu ausgeführt:

Konzeptionelle Vorbereitung zur Schaffung einer Anlaufstelle zur Rückgabe von Human Remains

Der Bundeshaushalt 2024 sieht hierfür 250.000 Euro Barmittel im laufenden Jahr vor, die jedoch gesperrt sind, bis AA und BKM die erwähnte Vorlage zur Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten vorlegen.

Agentur für Museumszusammenarbeit

Die dem Auswärtigen Amt unterstellte Agentur für internationale Museumszusammenarbeit (AIM), die wesentlich auf Vorarbeiten des früheren AA-Abteilungsleiters für Auswärtige Kulturpolitik, Andreas Görgen, zurückgeht, ist bislang nicht operativ tätig geworden. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass er im Dezember 2021 zum Amtschef von Kulturstaatsministerin Claudia Roth ernannt wurde und die Klärung der Rechtsform auf Seiten des AA jetzt nicht mehr entschieden genug vorangetrieben wird. Bereits Ende 2020 hatte der Bundesrechnungshof in einem Bericht an den Bundestags-Haushaltsausschuss kritische Fragen gestellt:

Das Auswärtige Amt hat erklärt, es erstelle derzeit eine umfassende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Es halte an seinem Plan fest, die AIM zeitnah zu gründen. Der Bundesrechnungshof weist darauf hin, dass ohne ordnungsgemäße Wirtschaftlichkeitsuntersuchung die Gründung der AIM nicht etatreif ist.

Es spricht nicht für den politischen Willen der Leitung im Auswärtigen Amt, dass die seit Mai 2019 betriebene Prüfung zur Gründung der Agentur bislang nicht zum Abschluss geführt werden konnte.

Neuordnung der Zuständigkeiten

Nicht nur im Hinblick auf die geplante Museumsagentur, sondern mit Blick auf die gesamte institutionelle Infrastruktur für den Umgang mit kolonialem Raubgut stellt sich die Frage, wie die Herkunftsgesellschaften in Zukunft Orientierung und Zugang zu deutschen Stellen erhalten. Und wie ihre Bemühungen um Rückführung der „Objekte“ von hier aus wirksam unterstützt werden können.

Die bisherige Trennung der Zuständigkeiten in der Bundesregierung für materielle Kulturgüter durch BKM einerseits und Ancestral Remains durch das Auswärtige Amt andererseits stößt auf Kritik. Insbesondere deshalb, weil die beiden Raubgut-Kategorien oft als unauflösliche Einheit durch die Ursprungsgesellschaften betrachtet werden. Für diese ist das deutsche System nur schwer zu verstehen und kaum zugänglich.

Die Einrichtung einer zentralen Stelle könnte Rückgabeprozesse wesentlich erleichtern. In die neue Plattform sollte auch die „Kontaktstelle Koloniale Kontext“ von Bund und Ländern integriert werden, deren Arbeit angesichts begrenzter Kapazitäten bislang kaum Wirkung gezeigt hat. Es deutet sich an, dass folgende Aufgabenteilung im Konzept, das BKM und AA dem Haushaltsausschuss in den nächsten Monaten vorlegen müssen, fixiert werden könnte:

– BKM übernimmt federführend die Koordination aller relevanten Institutionen in Deutschland.

– Im AA werden sämtliche Auslandskontakte mit Kolonialbezug gebündelt.

Falls dieser Weg gewählt wird, müsste der neue Restitutionsfonds in den Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amts wandern und könnte dort bei der Agentur für Internationale Museumszusammenarbeit angesiedelt werden, falls diese demnächst ihre Tätigkeit aufnehmen sollte.

Aufgrund ihres bisherigen Engagements ist davon auszugehen, dass die Grünen Bundestagsabgeordneten Andreas Audretsch, Berichterstatter seiner Fraktion im Haushaltsausschuss für BKM, und Jamila Schäfer, Berichterstatterin für das AA, eine maßgebliche Rolle im Bundestag bei Neugestaltung der deutschen Restitutions-Governance spielen werden. Auch der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Helge Lindh, könnte daran mitwirken. Vor Kurzem hat er die notwendigen Reformschritte klar benannt:

„Regularien für die konkrete Durchführung: Finanzierung der Restitution oder Repatriierung“ sowie „feste, standardisierte, verlässliche Prozeduren und Abläufe“

Auf Regierungsseite ist die für Auswärtige Kulturpolitik und Afrika zuständige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul, eine zentrale Akteurin für die laufenden Dialog- und Rückgabeprozesse, insbesondere in Tansania.

Drängen der ehemaligen Kolonien

Dass die Neuorganisation der deutschen Restitutionspolitik ein dringliches Anliegen für die Bundesregierung sein sollte, unterstreicht das zunehmende Interesse der Herkunftsgesellschaften an umfassenden Vereinbarungen mit Deutschland. Dies gilt sowohl für einzelne Volksgruppen und Nachfahren von Kolonialopfern als auch für Nationalregierungen, beispielsweise Tansania und Kamerun. Mit beiden Ländern hat die Bundesregierung kürzlich Verhandlungen zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte aufgenommen, in deren Rahmen umfassende Rückgaben unausweichlich sein werden. Den Rest der Wahlperiode sollte Berlin deshalb zur proaktiven Gestaltung einer leistungsfähigen Restitutions-Governance nutzen.